Kirche und Staat in Deutschland, Frankreich und den USA – Geschichte und Gegenwart einer spannungsreichen Beziehung

Kirche und Staat in Deutschland, Frankreich und den USA – Geschichte und Gegenwart einer spannungsreichen Beziehung

Organisatoren
Stiftung Bonhoeffer-Lehrstuhl im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft; Christiane Tietz, Evangelisch-theologische Fakultät, Universität Mainz; Irene Dingel, Institut für Europäische Geschichte; Erbacher Hof, Akademie des Bistums Mainz
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.05.2010 - 30.05.2010
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Von
Björn Griebel, Institut Europäische Geschichte Mainz, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Das Thema „Kirche und Staat in Deutschland, Frankreich und den USA“ war Gegenstand der XIV. Dietrich Bonhoeffer Vorlesung. Während der dreitägigen Vorlesungsreihe mit neun Vorträgen wurde zunächst in einem einführenden Vortrag das Verhältnis von Kirche und Staat in der Geschichte und beim Namensgeber der Vorlesung, Dietrich Bonhoeffer, dargestellt. Darauf aufbauend erfolgte jeweils für die USA, für Frankreich und für Deutschland die Untersuchung zuerst der Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat in der Geschichte und darauf folgend die Darstellung aktueller Probleme dieser Beziehung. Den Abschluss fand die Veranstaltung in einem Universitätsgottesdienst in der Christuskirche Mainz.

HEINRICH BEDFORD-STROHMs (Bamberg) Einleitung begann mit der Darstellung der christlichen Urgemeinde, die angesichts der Naherwartung Gottes noch nicht eine Verfestigung der eigenen Gemeinschaft oder einen Zusammenschluss mit dem Staatswesen angestrebt habe und stattdessen Kontrastgesellschaft gewesen sei. Erst seit der Konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert hätten sich die junge christliche Kirche und das Staatswesen verbunden, bis schließlich im Investiturstreit des 11. und 12. Jahrhunderts der Papst einerseits die „libertas ecclesiae“ reklamiert und andererseits einen Anspruch auf Universalherrschaft geltend gemacht habe. Martin Luther hingegen habe „zwei Reiche“ unterschieden, ein geistliches und ein weltliches, oder zwei Regierweisen Gottes, um Kirche und Staat zwei unterschiedliche Aufgaben zuzuweisen, eine Unterscheidung, die in der Folgezeit nicht selten zu einem teilnahmslosen Nebeneinander von Kirche und Staat geführt habe. Im Denken Dietrich Bonhoeffers seien hingegen Kirche und Staat in der einen Wirklichkeit verortet, so Bedford-Strohm. Beide Institutionen sollten sich gegenseitig begrenzen. Die Kirche habe auf Christus hinzuwirken und der Staat einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der dieses Wirken ermöglicht.

CHRISTIANE TIETZ (Mainz) machte in ihrem Vortrag deutlich, dass die von vielen europäischen Religionsflüchtlingen geprägten britischen Kolonien Amerikas ein vielfältiges Bild des Verhältnisses von Kirche und Staat boten. In manchen Kolonien habe so etwas wie Religionsfreiheit geherrscht, andere hätten streng über die Einhaltung der göttlichen Gebote und der rechten Gottesverehrung gewacht, und es habe bevorzugte Konfessionen gegeben. Der neue Staatenbund habe zunächst auf gemeinschaftlicher Ebene festgehalten, dass es Religionsfreiheit geben sollte und kein „Establishment“ einer Religion durch Gesetze des amerikanischen Kongresses. Obwohl man sich auf keine bestimmte Konfession habe festlegen können und wollen, befürworteten etliche der Verfassungsväter Religion als Voraussetzung für ein gelingendes Staatsleben, so Tietz. Das Leitbild von der „Mauer der Trennung“ zwischen Kirche und Staat werde also nicht scharf durchgehalten, was der Vortrag insbesondere anhand der Praxis der Rechtsprechung des Supreme Court deutlich machte.

Trotzdem werde die Systemfrage in den USA nur selten gestellt und aktuelle Diskurse drehten sich primär um die politische Wahrnehmung der Kirche im Staat. ROBIN WARREN LOVIN (Dallas) unterschied in seinem Vortrag zwei Grundauffassungen von einem puritanisch geprägten Sektierertum einerseits und einem vornehmlich durch die neue politische Rechte bestimmten, reformbestrebten Kirchenverständnis andererseits. Während die „Sektierer“ die Kirche vor allem in Abgrenzung zum Staat in einer Wächterrolle wahrnehmen, strebten die „Reformatoren“ gerade ein Miteinander von Staat und Kirche an, um gemeinsam die Gesellschaft politisch und moralisch umzugestalten. Als dritten Weg bot Lovin die Ethikauffassung Dietrich Bonhoeffers an, weil nach dessen alternativem Verständnis die Kirche die Aufgabe der Politik zu akzeptieren habe, der Politik aber gleichzeitig als Produkt menschlicher Begrenztheit immer nur die „vorletzte Entscheidungsgewalt“ zukommen dürfe.

Das französische Modell der Laïcité sei vor allem durch die antiklerikalen Kräfte der 3. Republik geprägt und ist im heute noch geltenden Trennungsgesetz von 1905 rechtlich verankert. Die im Wortlaut geforderte strikte Trennung von Kirche und Staat werde jedoch aufgrund des weiter bestehenden gesellschaftlichen Einflusses der Kirche, der verweigerten Anerkennung staatlicher Aufsichtsrechte und einer kirchenfreundlichen Rechtsprechung in der Praxis nicht durchgehalten. AXEL VON CAMPENHAUSEN (Göttingen) sieht die Laïcité heute daher als wohlwollende Unparteiigkeit des Staates. Eine textliche Änderung des Trennungsgesetzes sei auch nach 105 Jahren nicht zu erwarten, jedoch eine weitergehende inhaltliche Anpassung des Trennungsprinzips durch die Rechtsprechung.

Gerade wegen dieser Eigenheiten in der geschichtlichen Entwicklung der Laïcité sieht ROLAND MINNERATH ( Dijon) keine Möglichkeit zur Übertragung dieses Staatskirchenmodells auf Europa. In Frankreich lassen sich zwei grundsätzliche ideologische Ausprägungen des strikten Trennungsprinzips voneinander unterscheiden, so Minnerath. Die erste Richtungsideologie sehe in der Trennung von Kirche und Staat die Befreiung des Menschen von Gott und Religion als Beginn einer neuen Ära, in der der Mensch und sein freier Wille als neuer Gott angesehen werden. Häufiger vertreten sei die Ansicht der Laïcité als Gewissens- und Religionsfreiheit inklusive dem Recht der Ausübung von Religion im öffentlichen Raum, die sich derzeit im Sinne der genannten wohlwollenden Unparteiigkeit zu einer laïcité positive verschiebe. Laut Minnerath werde aber ein grundsätzliches in Frage stellendes Systems seitens der Kirche vermieden, da bei einer Neuordnung des Staatskirchenrechts die Verschlechterung auf Grundlage des noch bestehenden Wortlauts des Trennungsgesetzes drohe.

Die deutsche Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat stehe mit den heute noch geltenden Normen der Weimarer Reichsverfassung zum Staatskirchenrecht zwischen dem Modell der Staatskirche und dem der Laïcité. Die schon aufgrund der territorialen Zersplitterung Deutschlands im 17. bis 19. Jahrhundert sehr differenzierte Vorgeschichte des Staatskirchenrechts sei stärker auf eine Balance der Großkirchen ausgerichtet gewesen als anderswo in Europa. Daraus erklärte HEINRICH DE WALL (Erlangen) die zentrale Funktion des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und die Möglichkeit zur Erlangung des mit staatsähnlichen Befugnissen ausgestatteten Körperschaftsstatus. Religionsgemeinschaften, die neben formellen Voraussetzungen auch das Erfordernis der Rechtstreue erfüllen, dürften aus diesem Verständnis heraus in einem System gestufter Parität gerade wegen ihrer Nähe zum Staat gegenüber staatsferneren Religionsgemeinschaften bevorzugt werden, so de Wall.

Als gegenwärtige Herausforderungen des deutschen Staatskirchenrechts zählte MICHAEL HEINIG (Göttingen) die gesellschaftlichen Prozesse der Individualisierung, Säkularisierung und Pluralisierung auf. Die fortschreitende Individualisierung und Säkularisierung führe bei den Akteuren im Rechts- und Politikbereich zu einer wachsenden Nachlässigkeit gegenüber religionsgemeinschaftlichen Interessen und zur Schrumpfung der Großkirchen. Weil gleichzeitig das Problem der Integration des Islam immer drängender werde, sieht Heinig die weitere Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts am Scheideweg zwischen einer Laizisierung einerseits oder einer Hierarchisierung des Schutzes religiöser Kultur andererseits, die die Rechtegewährung an Religionsgemeinschaften von deren konstruktivem Beitrag in der Gesellschaft abhängig machen wolle.

Explizit das Problem der Pluralisierung ansprechend, forderte KARL LEHMANN (Mainz) ein stärker auf das Zusammenleben der Religionsgemeinschaften gerichtetes Staatskirchenrecht, ohne dass bestehende Freiheitsrechte gegeneinander ausgespielt werden dürften. Eine Aufwertung der negativen gegenüber der positiven Religionsfreiheit sei dabei ebenso zu vermeiden wie die stärkere Berücksichtigung von individueller gegenüber kollektiver Glaubensfreiheit. Das so genannte „Böckenförde-Axiom“, wonach „der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann“, zeige die große Armut des Staats und erfordere eine Öffnung gegenüber den Kirchen, so Lehmann. Beide Institutionen seien auf den Menschen bezogen und schon aus diesem Auftrag heraus zu Kooperation gehalten.

Mit der Unerfahrenheit europäischer Gerichte im Umgang mit den nationalen Staatskirchenrechtskulturen stellte WOLFGANG HUBER (Berlin) eine weitere zentrale Herausforderung für das Staat-Kirche-Verhältnis heraus. Aufgabe der Kirchen sei es, trotz fortdauernder Säkularisierung die friedenstiftende Einigung Europas voranzutreiben. Das deutsche Staatskirchenmodell solle dabei nicht als Kompromissmodell gehandelt und die Großkirchen nicht zu einem Verzicht auf den Körperschaftsstatus bewogen werden. Daneben zeige der wiederkehrende Streit um religiöse Symbole in der Öffentlichkeit die Notwendigkeit einer Richtungsentscheidung Europas zwischen Laizismus und Neutralität.

Geschichte und Gegenwarten der spannungsreichen Beziehung von Kirche und Staat konnten in der von mehr als 150 Teilnehmern besuchten Vorlesung gelungen miteinander verknüpft werden. Die Diskussionen zeigten, dass sich, selbst bei gleichbleibender Verfassungslage, die Frage nach der Positionierung der Kirchen im Staat immer wieder neu stellt. Auch wenn in fast allen Beiträgen eine wechselseitige Unabhängigkeit der Kirche vom Staat und des Staates von der Kirche gefordert wurde, so war damit doch nicht gemeint, dass etwa keinerlei Berührungen oder Überschneidungsbereiche existieren sollten. Da beide Institutionen auf den Menschen bezogen sind, dürfen sie allein schon deshalb nicht gegeneinander agieren. Im Sinne Dietrich Bonhoeffers haben die Kirchen daher den Auftrag des Staates anzuerkennen und ihn zu fördern. Gleichzeitig darf sich die Politik nicht als Sinnstifter verstehen und hat daher einen Raum für Religion in der Öffentlichkeit zu bereiten, zu schützen und zu fördern.

Konferenzübersicht:

Heinrich Bedford-Strohm (Bamberg): Das Verhältnis von Kirche und Staat – seine Geschichte und seine Aktualisierung bei Dietrich Bonhoeffer

Christiane Tietz (Mainz): Die Entstehung der Trennung von Kirche und Staat in den USA

Robin Warren Lovin (Dallas): Aktuelle Probleme und Chancen der US-amerikanischen Trennung von Kirche und Staat

Axel Freiherr von Campenhausen (Göttingen): Die Entstehung des französischen Modells der Laïcité und seine Modifikationen

Roland Minnerath (Dijon): Die französische Laïcité – eine Besonderheit oder ein Modell für Europa?

Heinrich de Wall (Erlangen): Die Entstehung der deutschen Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat

Michael Heinig (Göttingen): Gegenwärtige Herausforderungen des deutschen Staatskirchen- und Religionsrechts aus verfassungsrechtlicher Sicht

Wolfgang Huber (Berlin); Karl Lehmann (Mainz): Probleme und Perspektiven des deutschen Staat-Kirche-Verhältnisses
– unter besonderer Berücksichtigung der Religionsfreiheit in einer immer stärker pluralistischen Gesellschaft (Karl Lehmann)
– unter besonderer Berücksichtigung der europäischen Situation (Wolfgang Huber)


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